Geposted von 5tVn,
Seit dem Release von CS:GO wird die Talentförderung im deutschen eSport kontrovers diskutiert. Talent? Was heißt das überhaupt in Counter-Strike? Was für Eigenschaften machen ein Talent aus? Und wer gehört überhaupt dazu? An eine Erklärung wagt sich unser Redakteur Steven 'stiVn' Lang heran. Deutsche Talente im eSport? Gibt es die überhaupt? Wer zählt als Talent, wer beurteilt Talent und wie wird man zu einem Talent? Diese Fragen habe ich mir auch gestellt und versucht, einige davon zu beantworten.

Zuerst muss geklärt werden, was es bedeutet ein Talent zu sein beziehungsweise Talent zu besitzen.

Der Versuch einer Definition:

Als sportliches Talent kann eine Person bezeichnet werden, die über (vorwiegend genetisch bedingte) Dispositionen zum Erreichen von hohen sportlichen Leistungen verfügt, die Bereitschaft mitbringt, solche Leistungen auch zu vollbringen, die Mög­lichkeit dafür in der sozialen Umwelt vorfindet und letztlich mit den erzielten Leistungsresultaten den Eignungsnachweis dokumentiert.


Heißt auf Deutsch: Ein Talent ist jemand, der gewisse Qualitäten, die im Spiel wichtig sind intuitiv beherrscht oder eine gewisse Teilqualität besitzt, auf welche leicht aufgebaut werden kann. Klar ist: Talente sind keine kompletten Spieler, sonst wären es sicherlich keine Talente. Talente besitzen gute Grundlagen, die weiter ausgebaut werden müssen und was viel wichtiger ist, laut der oben genannten Definition besitzen Talente auch den Willen und die Bereitschaft zu arbeiten und sich weiter zu entwickeln.

Die Grundlagen eines Talents:

Ich unterscheide zwischen zwei Arten von Talenten. Es gibt das genetische Talent, sowie das soziale Talent. Ersteres ist nicht zu beeinflussen und statisch, heißt auf Deutsch und sehr vereinfacht: Wenn ich mit einem besonders guten Reaktionsvermögen geboren wurde, sehe ich die Gegner schneller und schieße besser um, als jemand der eben nicht so gute genetische Voraussetzungen hat.

Letzteres Talent ist nicht statisch sondern dynamisch. Das dynamische Talent spiegelt meine Lernbereitschaft wieder, meinen Drang sich zu verbessern und die Möglichkeit mich zu beweisen. Übertrieben ausgedrückt: Wenn ich auf den Fidschi Inseln lebe bringt es mir nichts zu den besten Aimern der Welt zu gehören - mich bemerkt sowieso keiner.

Beides sind Grundlagen eines Talentes und gehören unzertrennlich zusammen, ich kann kein Talent sein ohne in irgendeiner Weise (genetisch) besonders zu sein - sei es auch nur die Intuition, wohin der Gegner grade verschiebt. Im weiteren Verlauf dieses Artikels werden wir jedoch sehen, dass das in Counter-Strike nicht 100% zutreffend ist und der Schwerpunkt sich verschiebt. Allerdings funktioniert der Weg andersherum genauso: Ich kann nicht als Talent zählen, wenn mich keiner wahrnimmt und mir Talent verschreibt.

Was macht Talent aus in CS:GO?

Ich ziehe den Vergleich zum Fussball: Talente im Fußball gibt es genügend, nehmen wir als Beispiel Leon Goretzka, kürzlich für 3,5 Millionen Euro zum FC Schalke 04 gewechselt oder noch einen Tick höhergegriffen: Thiago Alcantara, gewechselt vom FC Barcelona zum FC Bayern für insgesamt 25 Millionen Euro. Was zeichnet diese Spieler aus: Beide sind jung (18 und 22) und besitzen auf ihrer Position eine überdurchschnittliche Begabung. Die beiden Spieler zeichnen sich durch Spielübersicht und Variabilität aus. Sie besitzen trotz ihres jungen Alters jetzt schon eine unvorhersehbare (statische) Begabung, die nicht mehr erlernt werden muss, sondern nur noch verbessert wird (mithilfe der dynamischen Begabung).

Im Fussball ist so einiges wichtig: Als Stürmer ein guter Abschluss, im Mittelfeld eine gute Spielübersicht und in der Abwehr Robustheit und Kopfballstärke. Schön und Gut, aber hier geht es nicht um Fussball also kommen wir zum Kern: Was ist wichtig für einen Counter-Strike Spieler? Eine starke Physis bringt einem nämlich gar nichts, ein CS-Spieler muss nicht körperlich fit sein, um gut zu sein.

Dazu habe ich einige Profispieler befragt und auch den Kopf von 99Damage und Caster Matthias 'Knochen' Remmert:

Lernbereitschaft - Zeit - Kritikfähigkeit - Ehrgeiz - Durchsetzungsvermögen - KEINE Arroganz oder Überheblichkeit

Klar muss man Demos analysieren können, reaktionsschnell sein oder eine gute Spielübersicht haben, aber das sind alles spielerische Eigenschaften und die kommen mit der Zeit. Talent ist das Zusammenspiel aller Faktoren, spielerischer und persönlicher Art.


Um als Talent in Counter Strike zu gelten muss ich nicht unbedingt eine hohe genetische (statische) Begabung haben, viel mehr macht in Counter-Strike der dynamischen Teil das Talent aus: Fähigkeiten die ich mit der Erziehung und meinem sozialen Umgang erlerne.

Manuel 'mnL' Oberlein, zurzeit bei Team Wild Fire unter Vertrag, hat eine ähnliche Meinung wie Matthias 'Knochen' Remmert:

Meiner Meinung nach muss ein 'CS:GO Talent' folgendes mitbringen:

Spielverständnis - Positioning - Aiming

Außerdem muss er: Kritikfähig sein - 'Ich bin der beste'-Spieler gibt es zur genüge und solche werden NIE von einem Top-Team kontaktiert werden. Lernbereitschaft zeigen - Das heißt nicht nur zum Training mal etwas CS:GO daddeln, sondern auch selbst auf dem Server neue Dinge ausprobieren, Demos schauen etc.

Sie sollten Teamfähigkeit besitzen - Alleinunterhalter sind in einem 5-Mann Team unangebracht, wenn ihr so jemand seid, spielt lieber Quake. Man kann es riskieren, aber aus Erfahrung weiß ich, dass aus diesem Grund Teams zerbrechen.

Thats it. Alles in allem muss ein junger Spieler sich einfach auch etwas sagen lassen, es gibt gute Spieler keine Frage, aber viele sind einfach nicht Lernbereit und denken sie wüssten schon alles. Stats sind übrigens nicht alles, wenn ein Spieler ein Frag hat und 20 Assists und die Super-Calls raushaut, macht ihn das genauso wertvoll wie einen Spieler, der jedes Spiel mehr als 25 Kills macht.


Aus den Statements ist herauszulesen, dass die Charaktereigenschaften des Spielers eine große Rolle spielen. Ist also der Charakter ausschlaggebend für ein Talent? Einerseits ist das vollkommen logisch: Er muss mit seinen vier Team-Mates zurechtkommen und es dürfen keine Streitereien entstehen, die das Team zerreißen könnten. Andererseits, ist dann jeder der gut erzogen ist gleich ein Talent? Natürlich nicht. Talent ist wohl leichter an Personen fest zu machen.

Im folgenden stelle ich euch meine Top3 der deutschen Talente vor:

Aspekte die ich berücksichtigt habe sind: Alter, LAN Erfahrung, internationale LAN Erfahrung, Titel, Endplatzierungen

Tizian 'tiziaN' Feldbusch
Das momentan stärkste Talent aus Deutschland ist unumstritten der Team Alternate-Akteur Tizian 'tiziaN' Feldbusch, der mit 16 Jahren in der EPS debütierte und gleich in seiner ersten Season Vizemeister wurde, kurz darauf von Alternate verpflichtet und direkt sein erstes großes internationales Event besuchte. Auf der DreamHack Summer 2013 ging Alternate leider unter. Doch vor allem tiziaN zeigte, trotz der Niederlagen gegen fnatic und LDLC.com, eine gute Leistung und bewies so, dass er auch unter hohen Druck gute Leistungen abrufen kann. tiziaN's erstes Offline-Event, die EPS-Finals der Spring Season, war bisher auch das erfolgreichste, denn die dotpiXels fuhren mit 2.500 EUR und dem zweiten Platz nach Hause. tiziaN landet deshalb in meinem Ranking mit weitem Abstand auf Platz 1.

Florian 'syrsoN' Rische
Der zweite im Bunde ist schon etwas länger dabei und debütierte ebenfalls, wie tiziaN, mit 16 Jahren in der EPS. Die Rede ist dabei von Florian 'syrsoN' Rische. syrsoN spielt mittlerweile seine dritte EPS-Season. Zurzeit aktiv für w4sp, will sich der mittlerweile 17-jährige wieder einmal auf die Finals spielen, welche er schon in der ersten CS:GO Season mit GAMED.DE besuchen durfte. Dort belegte er mit seinen Kameraden den vierten Platz und hofft in dieser Season auf das Siegerpodest. syrsoN belegt durch seine nationale Erfahrung Platz 2 im Ranking.



Timo 'Spiidi' Richter
Der dritte Spieler den ich euch vorstellen will, ist Timo 'Spiidi' Richter. Der Team-Captain der EnRo GRIFFINS ist mit seinen 17 Jahren einer der jüngsten EPS-Spieler. Mit seinem Team konnte er die vergangene Season in der A-Series mit Platz 1 beendet und den Direktaufstieg klar machen. In der EPS angekommen, befinden sich die Jungs rund um Spiidi auch in der höchsten deutschen Spielklasse unter den besten Teams. Bereits elf Siege gingen auf das Konto der Greifvögel und dies ist unter anderem Spiidi zu verdanken, der einer der Top-Spieler des Teams ist. Die Summer Season ist seine erste EPS-Season, dadurch ist es wohl umso erstaunlicher, dass sein Team auf Anhieb die Finals erreichen konnte. Weil Spiidi als Direktaufsteiger die Finals erreicht und mit 17 Jahren bereits ein Team führt, verdient er meiner Meinung nach Platz 3.

Statement Timo 'Spiidi' Richter:

Das Wichtigste, um ein Talent zu 'werden' ist sich ein Ziel zu setzen, auf das man hinarbeitet. Man benötigt natürlich auch viel Zeit, die man effizient nutzen sollte. Ich denke es ist auch wichtig, dass man Kontakt zu Spielern hat, die einem das Spiel 'beibringen' können, beziehungsweise bei Fragen zur Verfügung stehen. Zu Beginn sollte man auch darauf achten, dass man nicht die ganze Zeit das Team wechselt, nur weil es mal nicht gut läuft, denn man lernt immer etwas dazu. Zum Beispiel spiele ich mit fearME seit knapp 2 1/2 Jahren zusammen. Meiner Meinung nach ist es auch eine große Hilfe, die Streams von PGs anzuschauen, bzw. die Matches zu verfolgen, um sich das ein oder andere abzugucken. Letztendlich brauch man aber das gewisse Etwas und vor allem den Willen. Ein Talent macht für mich jemand aus, der jung, diszipliniert und ehrgeizig ist, außerdem sollte er sich stetig weiterentwickeln.


Der Blick von Außen

Betrachten wir das Thema mal aus einem anderen Sichtfeld, aus Augen eines Clans oder einer Organisation. Worauf legen Organisationen wert bei Spielern? Talent oder Erfahrung - was zahlt sich aus?

Dazu habe ich René Odenthal von Sprintfox befragt:

Als Talent definiert, werden heutzutage Spieler, die ein gewisses Grundkönnen auf eine höhere Ebene gebracht haben. Meistens bezieht sich das auf das Aiming und taktische Spielverständnis, aber auch auf die Kommunikation. Dabei wird oft außer Acht gelassen, dass heutzutage eine Teamkomposition oftmals aus fünf verschiedenen Individuen stattfindet, was im Grunde genommen schade ist.

Seit 2005 hat sich die eSport-Mentalität immer weiter in ein eher individualistisches Unterfangen verwandelt. Jeder konzentrierte sich ab dann verstärkt auf sich selbst und ließ dabei das agieren als Team außer Acht. Die Möglichkeit, schnell Spieler auszuwechseln, wurde dabei immer attraktiver, da sich ein weitaus größerer Markt anbot. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass Teams oder auch Spielergruppen, die bereits seit mehreren Jahren gemeinsam spielen, durchaus die besseren Karten haben - und dies in jeglicher Hinsicht.

Meistens geht da eine über die Jahre entstandene Freundschaft voraus, welche die Spieler zusammengeschweißt und ihnen die Möglichkeit eingeräumt hat, auch Niederlagen auf eine rationale Art und Weise wegzustecken, um anschließend diese wieder als Motivation für ständiges Weiterbilden in dem jeweiligen Spiel zu nutzen.


René Odenthals Einstellung zur Talentförderung:

Persönlich habe ich verschiedene Organisationen, mit denen wir zur Zeit im Gespräch sind, als Prämisse für unsere Unterstützung entgegengebracht, dass ich mir durchaus ein sogenanntes 'Zero-Start'-Projekt wünsche. Damit ist gemeint, dass ein vollkommen neues Team zusammengestellt und über Monate hinweg ausgebaut wird. Ich meine, die CS:GO-Ära hat gerade erst begonnen - man muss nichts überstürzen. Einzelne Spieler mit hohen Qualitäten, ja. Aber um so wichtiger ist es, dass Spieler die Bereitschaft inne haben, eine Gemeinschaft zu werden. Organisationen im Gegenzug müssen die Bereitschaft zeigen, auch Zeit in das Projekt zu investieren und an ihrem Lineup festzuhalten.

Welche Spieler eignen sich nicht?

Jene, die eher die Vorteile einer Orgazugehörigkeit bevorzugen, als das gemeinsame Hinaufarbeiten. Auf gut deutsch könnte man sagen, dass viele auf eine irrationale und unverhältnismäßige Art und Weise den eigenen Gewinn (Hardware, Geldleistungen, etc.) in den Vordergrund stellen. Das können sich Spieler leisten, die jahrelang im Geschäft sind und auch konstante Leistungen gezeigt, aber auch reichlich Erfahrung auf dem Kerbholz haben. Und selbst dann stellt sich immer die Frage: Passt die Person in das Team?

Was geht nicht?
Spieler, die auf Anhieb zu hohe Anforderungen an die Organisation stellen, obwohl die bisherige Leistung nicht konstant war - dies bezieht sich sowohl auf offizielle Turniere oder Beteiligungen, als auch in Bezug auf Training. Auch jene nicht, die sich einer gewissen Autorität nicht unterordnen können. Wenn die Organisation der Meinung ist, es wäre sinnvoller ein Turnier zu skippen und als alternative ein Bootcamp in Frage käme, sollte dies auch hingenommen werden. Nicht zuletzt ist die Organisation auch der entsprechende Geldgeber bzw. 'Möglichmacher' für die Spieler. Die Risikoabwägung liegt somit allenfalls in der Hand der Organisation, in Absprache mit den Spielern.

Was geht?
Spieler, die bereit sind konstant an sich zu arbeiten. Spieler, die bereit sind einen rigorosen Trainingsplan in Zusammenarbeit mit der Organisation zu erstellen und diesen auch entsprechend einhalten. Aber, was viel wichtiger ist als Aiming und taktisches Spielverständnis, ist die Motivation. Die Motivation gemeinsam etwas erreichen zu wollen und dafür die nötige Zeit zu investieren. Sich kennenlernen, eine Freundschaft zu bilden, sein eigentliches Leben nicht außer Acht lassen, aber stets den Willen etwas auf die Beine zu stellen, aufleben zu lassen.


Richten wir unseren Blick ab von der deutschen Szene und schauen auf Skandinavien. Aus Schweden und Dänemark kommen die Top-Teams der Welt. Auf der DreamHack Summer 2013 machten die Schweden von NiP und (ehemals) Epsilon den Titel unter sich aus. Mittlerweile hat nun sogar n!faculty von einem deutschen Team abgesehen und sich für einen schwedischen Vertreter entschieden.

Wer sind die talentiertesten Skandinavier?

Ehemals Five Crowns - jetzt n!faculty, die Rede ist von Jacob 'pyth' Mourujärvi. Der 19-jährige gilt als das größte Talent der schwedischen CS:GO Szene und hat kürzlich mit n!faculty eine ausgezeichnete Organisation gefunden, die das Team voll unterstützt. Zusätzlich machte er unter neuem Namen den ersten Turniersieg auf der DreamHack Valencia klar - mit 2.500 EUR flog das Team wieder zurück nach Schweden. pyth ragte heraus und hatte einen großen Anteil an dem Sieg der Schweden, außerdem ist er auch laut Statistiken von HLTV.org nach der Top-Spieler des Teams. Während er mit einem Rating von 1.16 das Team anführt, hat keiner seiner Team-Mates ein Rating, das die 1.00 überschreitet.

Jacob 'pimp' Rasmussen ist mit 17 Jahren genauso alt wie syrsoN und tiziaN, allerdings hat er viel mehr Erfahrung und ist den deutschen Talenten um einiges voraus. Der zweite 17-jährige ist Nichlas 'Nille' Busk. Auch er verfügt schon über eine riesige LAN-Erfahrung und spielte in der Weltspitze mit, zum ganz großen Wurf reichte es allerdings nicht - noch nicht.

Ähnlich sieht es mit zwei weiteren Western Wolves-Akteuren aus: Lukas 'gla1ve' Rossander sowie Mathias 'MSL' Lauridsen. Beide sind auch erst 18 Jahre alt und in der internationalen CS-Szene schon lange keine Newcomer mehr - viel mehr sind sie riesengroße Talente.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass wenn die vier Dänen weiter zusammenspielen und motiviert bleiben, dass wir in Zukunft noch viel von den Jungs sprechen werden.

Zusammenfassend kann man sagen, dass...
  • ...die Deutschen vielversprechende Talente haben, die, wenn sie bodenständig bleiben, auch international was erreichen können.

  • ...die deutschen Talente noch viel vor sich haben - im internationalen Vergleich gegenüber den Skandinaviern jedoch weit im Hintertreffen liegen.

  • ...Talent in Counter-Strike massiv vom sozialen Umgang abhängt.

  • ...der Charakter eines Spielers ausschlaggebend für seinen Werdegang ist

  • ...es einige wichtige Dinge gibt, die ein Talent beherrschen muss: Dazu gehören unter anderem Ehrgeiz, Fleiß, Bodenständigkeit, Kritikfähigkeit und Lernbereitschaft.


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