Geposted von EddieCochran,
Der dänische CS:GO-Primus Astralis steckt in einer sportlichen Krise und droht, auseinanderzubrechen. Laut den Recherchen des Journalisten Richard Lewis trägt die Organisation eine Mitschuld an der Situation. „Zu den Sternen“ ist das Motto von Astralis. Aktuell geht es sportlich eher in die entgegengesetzte Richtung. Astralis hat Mitte und Ende Mai mit Lukas 'gla1ve' Rossander und Andreas 'Xyp9x' Højsleth zwei seiner Stars verloren. Die Topspieler haben aus gesundheitlichen Gründen eine Auszeit genommen.

Schenkt man der am Montag veröffentlichten Recherche des britischen Journalisten Richard Lewis Glauben, hat sich die dänische Organisation schlichtweg übernommen und das auf dem Rücken ihrer Spieler ausgetragen: zu viel Training, zu viele Spiele, zu viele Turniere und keine Erholungsphasen. Aktuell steht das Team nach Angaben von Richard Lewis vor einer nie dagewesenen Zerreißprobe.

Die Vorwürfe des britischen Journalisten gegen Astralis wiegen also schwer. Als Quellen benennt Lewis mehrere Insider aus dem Umfeld der Organisation und der Spieler. Namentlich genannt wird niemand, was den Wahrheitsgehalt zumindest infrage stellen kann. Astralis selbst hat sich auf Lewis‘ Anfrage hin zu den Vorwürfen im Detail nicht geäußert.

Kein Urlaub trotz Strapazen

Das CS:GO-Team von Astralis mit den Spielern gla1ve, Xyp9x, Nicolai 'dev1ce' Reedtz, Peter 'dupreeh' Rasmussen und Coach Danny 'zonic' Sørensen besteht seit Januar 2016. Nach dem Wechsel von Markus 'Kjaerbye' Kjærbye zu North rückte Emil 'Magisk' Reif im Februar 2018 ins Team. Das Lineup zählt als bestes CS:GO-Team aller Zeiten und ist dekoriert mit vier Major-Titeln und zahlreichen weiteren Turniersiegen.

Was hat zu dieser Situation geführt? Lewis berichtet, dass die Spieler aufgrund der massiven Belastung in den vergangenen Jahren einen hohen Erschöpfungsgrad erreicht und die Organisation um einen längeren Urlaub gebeten hätten. Dieser sei ihnen verwehrt worden. In dem Bericht geht es vor allem um den Zeitraum um den Jahreswechsel 2020.

Als Beispiel für die Strapazen der Spieler und des Trainers nennt Lewis die mehrwöchige Odyssee am Ende des vergangenen Jahres. Astralis startete am 7. November 2019 beim IEM Beijing 2019 in Peking. Das Team reiste also von Dänemark nach China, anschließend von China in die USA zur Esports Championship Series Season #8, von den USA nach Dänemark zu den Finals der ESL Pro League Season #10 und schließlich von Dänemark nach Bahrain, wo das Team am 14. Dezember die BLAST Pro Series Global Final 2019 gewann.


Doch anstatt den Spielern danach in der spielfreien Zeit bis weit in den Januar hinein die gewünschte Pause zu gönnen, seien gla1ve und Co. kurz nach den Feierlichkeiten im neuen Jahr wieder im Trainingsmodus gewesen. Nach Angaben von Lewis fordert die Organisation laut seiner Quelle eine Anwesenheitspflicht zwischen 37 bis zu 48 Stunden in der Woche, in denen ein strenger Trainingsplan durchgezogen wird.

Kritik an Sportdirektor Hvidt

Eine unrühmliche Rolle nimmt laut eines Lewis-Insiders Astralis-Sportdirektor Kasper Hvidt ein. Der einst erfolgreiche Profi-Handballer soll sich mit seinen Anforderungen im Konflikt mit Trainer und Spielern befinden. Lewis zitiert eine Quelle aus dem Umfeld der Spieler: „Kasper ist bekannt für seinen autoritären Führungsstil und ist in seinen Ansichten sehr unnachgiebig. Er ist auch der erste Ansprechpartner, falls ein Spieler mit dem höheren Management sprechen möchte. Deshalb gibt es definitiv Reibereien.“

Dass so hoher Druck auf die Astralis-Spieler ausgeübt wird, begründet Lewis mit dem Börsengang, den die Astralis Group im Dezember des vergangenen Jahres verwirklicht hatte. 22 Millionen US-Dollar seien durch Aktienverkäufe in die Kassen der Organisation gespült worden. Damit gehört Astralis weltweit zu den Wenigen im E-Sport, denen dieser Schritt gelungen ist.

Allerdings folgt dem wirtschaftlichen Erfolg der sportliche Druck, der auf die Teams von Astralis ausgeübt wird. Neben dem CS:GO-Team als Aushängeschild und mehrfachem Major-Sieger spielen Origen in League of Legends und der Future FC in FIFA. Durch den Börsengang ist Astralis seinen Aktionären über die Geschicke der Organisation Rechenschaft schuldig geworden und damit sprichwörtlich zum Erfolg verdammt.

Strafzahlungen bei Turnierabsagen

Doch nicht nur den Aktionären ist Astralis verpflichtet. Zudem hat die Organisation Verträge mit den großen Counter-Strike-Veranstaltern BLAST und der ESL Pro League geschlossen, die sie zu einer bestimmten Anzahl an Turnierteilnahmen verpflichtet. Wenige sind das nicht. Bei Absagen würden den Dänen Strafzahlungen drohen. So blieb nach Angaben von Lewis kein weiteres Zeitfenster übrig, um den Spielern die gewünschte Pause zu gönnen. Vertraglich festgeschrieben für die Spieler seien 25 Tage Urlaub jährlich, die aber immer nur in Abstimmung mit der Organisation genommen werden können.

Astralis startete trotz der von Richard Lewis beschriebenen internen Probleme in die neue Saison. Ein sportlicher Leistungseinbruch war offensichtlich. Bei der BLAST Premier: Spring 2020 Regular Season unterlag das Team Anfang Februar Complexity Gaming mit 0:2 und Natus Vincere mit 1:2. Bei der IEM Katowice 2020 Ende Februar lief die Vorrunde gut, jedoch wurden die Dänen im Halbfinale von Natus Vincere regelrecht vorgeführt. So hilflos hatte man Astralis selten zuvor gesehen.

Auch in der ESL Pro League Season #11 war im Halbfinale gegen mousesports Schluss. Zwischenzeitlich war die COVID-19-Pandemie ausgebrochen, die den E-Sport nun ausschließlich in Online-Wettbewerbe drängte. Die weltweiten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie trafen wirtschaftlich auch die E-Sport-Branche.

Streit wegen Lohnkürzung

Laut Lewis habe die Astralis Group dann Anfang April Mitarbeiter und Spieler darüber informiert, dass sie wahrscheinlich aufgrund der Pandemie eine 30-prozentige Lohnkürzung in Kauf nehmen müssten. Das Echo bei den Spielern sei nach Auskunft eines Insiders verhalten gewesen: Die CS-Profis haderten angeblich damit, dass sie seit Monaten um Urlaub gebeten hatten, weil sie erschöpft waren. Obwohl sie durchgespielen mussten, sollten die Spieler zusätzlich noch Gehaltskürzungen in Kauf nehmen.

Die Begründung der COVID-Krise sei überdies nicht angenommen worden, sagt ein Insider. Astralis hätte keinen Sponsor verloren und zudem Reisekosten gespart, weil alle Spiele online ausgetragen wurden. Intern habe es in der Folge über die finanziellen Einbußen Verhandlungen gegeben. Am 2. April verkündete Anders Hørsholt, CEO der Astralis Group, in einer Pressemitteilung, dass das Management, die Mitarbeiter und die meisten Spieler der Astralis Group einer Kürzung des Gehalts um 30 Prozent zugestimmt hätten.

Der Alltag auf den Servern setzte sich für die CS:GO-Profis fort. Trotz der Startschwierigkeiten verschwand Astralis nie im Nirvana der sportlichen Bedeutungslosigkeit. Beleg dafür war dann im Mai der dominante Auftritt bei ESL One: Road to Rio, die das Quintett überzeugend gewinnen konnte. Aber dass hinter den Kulissen etwas vor sich ging, belegen die Abschiede von gla1ve am 19. Mai und von Xyp9x am 28. Mai kurz darauf.


Sollten die Recherchen von Lewis stimmen, wirft gerade dieser Umstand ein schlechtes Licht auf die Astralis Group. Nach seinen Informationen seien bei gla1ve und Xyp9x nach Konsultationen bei Ärzten Symptome von Burnout und Stress diagnostiziert worden. Davon setzten die Spieler die Organisation in Kenntnis und wurden erst auf diesen Umstand hin freigestellt. Daraufhin folgte auch ein kritisches Statement der Counter-Strike Professional Players' Association (CSPPA), die auf die Gesundheitsprobleme im professionen CS:GO aufmerksam machte.


Astralis selbst hat bereits Erfahrungen mit Ausfällen von Spielern gemacht. Beispielsweise fiel Starspieler dev1ce Ende 2017 wegen gesundheitlicher Probleme aus, die auch auf Stress zurückgeführt werden konnten. In dem Statement auf Richard Lewis' Anfrage hebt Astralis hervor, dass die Organisation in den vergangenen zwei bis drei Jahren eine Betreuung aufgestellt hat, in der Trainer, Ernährungsberater, ein Arzt, Therapeuten und ein Sportpsychologe für das Wohlergehen der Spieler sorgen. Damit bleibt die Frage offen: Wieso hat Astralis nicht früher reagiert?


Der Umstand der mehrmonatigen Auszeit der Topspieler gla1ve und Xyp9x zwang die Organisation dazu, neue Spieler unter Vertrag zu nehmen. Am 22. März verpflichtete Astralis Patrick 'es3tag' Hansen von Heroic als sechsten Spieler. Dieser ist aber aufgrund seiner Vertragssituation bei Heroic bis zum 1. Juli nicht spielberechtigt für Astralis. Kurzfristig sprangen Jakob 'JUGi' Hansen, der einen langfristigen Vertrag erhielt, und Marco 'Snappi' Pfeiffer auf Leihbasis in die Bresche.

Langfristiger Plan oder kurzfristige Lösung?

Auch hier bezieht Lewis kritisch Stellung und behauptet, dass die Astralis Group diesen Umstand als langfristigen Plan eines größeren Kaders zum Wohl der Spieler verkaufe und nicht als kurzfristige Reaktion auf die internen Probleme im Kader. Nahrung erhält dieser Vorwurf, weil gla1ve bereits zu dem Zeitpunkt der Verpflichtung von es3tag Astralis von seiner Diagnose in Kenntnis gesetzt haben soll. Kasper Hvidt hingegen erklärte einem Statement, dass die Aufstockung des Spielerkaders aus Gründen der "Leistung und Gesundheit" des Teams geschehe.

Die Erhöhung der Spielerzahl bei Astralis soll künftig den Schritt in die richtige Richtung weisen. Das machte Coach zonic in einem Interview mit HLTV deutlich: "Es3tag wird zu gleichen Bedingungen wie alle anderen ein Teil des Teams sein. Wir werden sechs Spieler im Team haben, nicht fünf und einen Ersatz. Einige werden mehr spielen als andere, aber wir konzentrieren uns auf die langfristige Leistung und die Gesundheit der Spieler."

Kommt der Schritt zu spät? Richard Lewis spekuliert, dass das legendäre Astralis-Quintett auseinanderbrechen könnte. Ein Insider erklärte, dass die Spieler mit Kasper Hvidt unzufrieden seien, weil sie stets um eine Auszeit kämpfen müssten. Sie fordern ein Handeln der Organisation, sonst gebe es keine Garantie, dass sie ihre Verträge neu unterzeichnen würden.


Richard Lewis' Bericht über die internen Konflikte von Astralis lässt aufhorchen und bietet einen kritischen Blick auf den professionellen E-Sport insgsamt. Gesundheitliche Probleme aufgrund von anhaltendem Stress sind kein Geheimnis im professionellen CS:GO.

Das Statement der Spielergewerkschaft CSPPA stützt dieses Bild und fordert dafür entsprechende Regelungen in den Organisationen und von den Veranstaltern, um den Stress der Spieler in Zukunft zu mindern. Der aktuell betroffene Xyp9x ist selbst ein Vorstandsmitglied der CSPPA.

Foto: Helena Kristiansson/ESL

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