Geposted von EddieCochran,
Der Weg an die Weltspitze, die Akribie von Tobias 'tow b' Herberhold und die neue Mentalität des Teams: BIG-Manager Christian Lenz spricht mit 99Damage über die bisher erfolgreichste Saison der Berliner Organisation. Die Laune bei BIG-Manager Christian Lenz könnte hinsichtlich seines CS:GO-Teams kaum besser sein. Das Quintett um Ingame-Leader Johannes 'tabseN' Wodarz steht seit dem 6. Juli auf der Weltranglistenposition Nummer eins. Die großen Triumphe bei den DreamHack Masters Spring 2020 im Juni und dem cs_summit #6 im Juli waren mitentscheidend für den unaufhaltsamen Aufstieg der Berliner Organisation.

Ein langer Weg liegt hinter dem Team. So klingt etwas Erschöpfung mit in der Stimme während des Interviews mit 99Damage, wenn der BIG-Verantwortliche bedächtig die vergangenen Monate Revue passieren lässt.


Diese Zeit hat Christian Lenz, dem CS:GO-Team und der Organisation BIG viel abverlangt. "Unsere Spieler waren körperlich am Ende und sind ausgebrannt", sagt der Manager. Grund war die Belastung aufgrund der seit März andauernden COVID-19-Pandemie, wodurch die Turniere ausschließlich online gespielt und zeitlich von den Veranstaltern oft gedehnt wurden.

Hohe Belastung ist Gefahr

"Der Turnierplan war extrem anstrengend in der vergangenen Saison, wir haben so viele Spiele wie noch nie gespielt", sagt Christian Lenz. Die hohe Belastung der Profis ist im CS:GO-Zirkus nicht erst seit der Pandemie ein Thema. Bestes Beispiel ist das krankheitsbedingte Ausscheiden der Astralis-Stars Lukas 'gla1ve' Rossander und Andreas 'Xyp9x' Højsleth. "Ich will über die Situation bei Astralis nicht urteilen, weil keiner genau weiß, was passiert ist. Generell kann man sagen, dass aufgrund der hohen Belastung die Gefahr besteht, dass noch mehr Spieler an Burnout kaputtgehen."


Anstatt über andere Spieler redet der BIG-Verantwortliche lieber über die eigenen. Die zwei Neuzugänge Nils 'k1to' Gruhne und Florian 'syrsoN' Rische ordnet Lenz als wichtige Faktoren für den aktuellen Aufstieg des CS:GO-Teams ein. "Es war unsere beste Entscheidung, die beiden Spieler zu holen. Als Johannes 'nex' Maget und Owen 'smooya' Butterfield noch im Team waren, haben wir nicht schlecht gespielt, aber auf den letzten Metern haben wir den Erfolg immer verpasst."

Den Beginn des Weges an die Weltspitze verortet Christian Lenz noch früher - nämlich mit der Verpflichtung von Trainer tow b. "tow b hat - auch als dreifacher Familienvater - eine völlig andere Sichtweise auf viele Dinge und hat im vergangenen Sommer die komplette Struktur des Trainings und im Spiel verändert." Deutlich professioneller agiere das Team nun, dazu gehören zum Ausgleich Fitness und gezielte Auszeiten für die Spieler. Denn nur "hardcore Grinden" bringe nichts.

Team muss untereinander funktionieren

Zudem sei tow b erpicht auf die Analyse von Matches. "Wir schauen uns gemeinsam unsere Spiele an, um besser zu werden und stets zu lernen", sagt der BIG-Manager. Nach dem eher durchwachsenen Jahr 2019 rückten k1to und syrsoN in den Fokus. "Bei der Verpflichtung im Januar spielte natürlich eine Rolle, dass tow b die Spieler bereits bei Sprout gecoacht hatte. Er und tabseN haben dann entschieden, dass wir es mit beiden probieren sollten."

Bei Neuverpflichtungen geben der Ingame-Leader (IGL) und der sportliche Leiter den Ton an. "Ich gebe sicherlich Tipps und bringe mich ein, aber schließlich muss das Team unter sich funktionieren. Vorher hatten wir damit Probleme", sagt Lenz. Kapitän und IGL tabseN hat seit dem Abschied von CS-Legende Fatih 'gob b' Dayik im August des vergangenen Jahres selbst einen langen Entwicklungsprozess hinter sich gebracht.


Christian Lenz ist ob des Auftretens von tabseN als IGL voll des Lobes. "Er hat einen enormen Sprung gemacht. Natürlich braucht das seine Zeit, wenn man bedenkt, was alles zu den Aufgaben eines IGL dazu gehört. tabseN musste dafür viele Routinen entwickeln, dazu zählt auch die enge Zusammenarbeit mit tow b bezüglich der Matchpläne und der Koordination des Teams."

Hilfreich zur Seite stand ihm gob b, der nach seiner zwischenzeitlichen Pause als Assistant Coach und Head of CS:GO tätig ist. Die Unterstützung von gobelante wird in Zukunft allerdings spärlicher ausfallen, denn gob b ist seit dem 17. Juli als VALORANT-Profi bei BIG unterwegs. Doch tabseN zehrt zusätzlich von seiner unerschöpflichen Erfahrung aus dem Profidasein. Überraschende Situationen in der CS-Welt wird es für einen Mann seines Kalibers wohl kaum noch geben.

Frischer Wind bei BIG

Die Neuzugänge k1to und syrsoN haben bei BIG frischen Wind gebracht. Als jüngere Version von tabseN charakterisiert Christian Lenz den Leipziger k1to. "Er lebt das Game und trainiert den ganzen Tag." Als Gegenpol hingegen lässt sich syrsoN einordnen: "Er hat neue Aspekte eingebracht, denn er achtet auf die Balance in seinem Leben, damit er nicht ausbrennt." Es gibt also nicht nur den einen Weg, der BIG an die Spitze geführt hat.

AWP-Spieler syrsoN sticht auf seiner Position heraus. "Einen wie ihn hätten wir schon vor zwei Jahren gebraucht", sagt der BIG-Manager. Das begründet er mit dem konstanten Spiel des Eislebeners. "Er hat genügend Freiheiten, um sein Spiel durchzuziehen, und er hat sich bei uns spielerisch deutlich weiterentwickelt. syrsoN ist jemand, der einen Fehler nicht zwei Mal begeht."


Neben dem auffälligen Mann an der AWP sei das gesamte Team immer besser zusammengewachsen, betont Christian Lenz. "Seit Jahren hacken die Leute beispielsweise auf Tizian 'tiziaN' Feldbusch herum, weil sie stets mit der 'Fragbrille' das Spiel sehen. Er macht einen fantastischen Job und das nicht erst, seitdem wir auf dem Weg zur Nummer eins waren."

Bei Can 'XANTARES' Dörtkardeş holt der BIG-Verantwortliche etwas weiter aus: "Jeder weiß, dass XANTARES Spiele mit seiner Aimstärke entscheiden kann. Was ihm gefehlt hat, war teils die taktische Sichtweise. Das ist nun besser geworden, denn er macht deutlich weniger Fehler."

Unverkennbar war, dass XANTARES in den vergangenen Monaten nicht mehr nur sein Können phasenweise aufblitzen ließ, sondern es kontinuierlich einbringen konnte. Die Formsteigerung des Riflers war mit ein entscheidender Faktor, warum BIG seit Beginn des Jahres von Erfolg zu Erfolg eilen konnte.

Früchte der Arbeit

Schon bei dem souveränen Sieg bei der DreamHack Open Leipzig 2020 zeigte das neuformierte BIG, zu was es imstande ist. Das Team entwickelte sich fortan weiter und arbeitete hart dafür. "Wir trainieren im Gegensatz zu anderen Teams alle Maps, das ist natürlich immens viel Input für unsere Spieler. Ein Trainingstag dauert dann bis zu zehn Stunden. Danach trainieren einige individuell weiter im Deathmatch oder in der FPL (FACEIT Pro League, Anm. d. Redaktion)."

Dem harten Pensum folgten die Früchte der Arbeit. BIG startete durch. Als Turning Point auf dem Weg zur Weltspitze nennt Christian Lenz die Spiele der ESL Pro League Season #11 gegen Fnatic und Natus Vincere, den damals frisch gebackenen Sieger der IEM Katowice 2020. Die Erfolge gegen die Top-Teams waren ein Achtungszeichen. "Wir hatten einen Superstart in der EPL und obwohl wir dann ausgeschieden sind, haben wir viel Selbstvertrauen mitgenommen."


Die anschließenden Niederlagen gegen die eher schwächer einzuordnenden Teams Complexity Gaming, North und forZe wurden genauso wie die Siege gegen Na`Vi und Fnatic in einem mehrtägigen Prozess akribisch untersucht. "Erkennen und Aufarbeiten waren der Schlüssel - wegen Pech verliert man nicht", sagt Lenz. "Unser altes Team hätten diese Niederlagen vielleicht aus der Bahn geworfen, aber wir haben das analysiert und die Fehler abgestellt."

Ein Stück weit Leidensweg war der Auftritt in der ESL Pro League, den BIG nach dem Ausscheiden in der Gruppenphase noch gehen musste. Doch die Mentalität des neuformierten Teams überwand diesen zwischenzeitlichen Rückschlag. Wie ist es eigentlich um die Gefühlslage des Managers bei nervenaufreibenden Spielen bestellt? "Mich nimmt das immer sehr mit, aber ich habe einen Weg gefunden, um die Anspannung während der Spiele zu senken."

Familiäre Atmosphäre

Christian Lenz macht keinen Hehl aus seiner engen Verbindung zum Team, die über das professionelle hinausgeht: "Man lebt und stirbt mit dem Team. Bei uns herrscht eine familiäre Atmosphäre, die Leute liegen mir am Herzen und über die Jahre sind Freundschaften entstanden."


Dass das Team enger zusammenrücken musste, war auch eine Folge der Pandemie. Denn nun spielten sich die großen CS:GO-Dramen im kleinen Spielraum des BIG-Gaming-Hauses in Berlin ab. Von dort aus schrieb das Quintett um IGL tabseN CS:GO-Geschichte. Nach den Siegen der DreamHack Masters Spring 2020 und des cs_summit #6 steht BIG nun ganz oben in der Weltrangliste.

Doch für die Turniersiege gab es weder Feuerwerk noch Konfettiregen oder jubelnde Massen. Vermisst man das eigentlich? BIG-Manager Lenz antwortet pragmatisch: "Uns ärgert das nicht, denn wir können das nicht ändern." Der Feierlaune hatte das keinen Abbruch getan. Das Team und die Verantwortlichen zelebrierten den erfolgreichen Saisonabschluss bei einem gemeinsamen Abendessen in einem Restaurant in Berlin.


BIG ist in der kommenden Saison ab August das gejagte Team auf der Weltranglistenposition Nummer eins. Das ficht Christian Lenz aber wenig an: "Die höhere Erwartungshaltung lässt uns kalt. Wir spielen und schauen dabei auf uns. Wir wissen, dass die kommenden Monate wieder sehr anstrengend werden. Ich persönlich bin zufrieden, wenn wir am Ende der nächsten Saison in den Top Ten stehen."

Fäden fest in der Hand

Im Hinblick auf die kommenden Turniere sticht freilich das Major in Brasilien heraus, für das BIG bereits ordentlich Punkte im Regional-Major-Ranking einfahren konnte. Christian Lenz glaubt wegen der aktuellen COVID-19-Pandemie nicht an eine Austragung der ESL One Rio 2020 vor Ort. "Möglicherweise werden weitere Punkte-Cups ausgetragen. Aber was Valve macht, weiß sowieso keiner."


Bei BIG hingegen hat Christian Lenz die Fäden fest in der Hand. Obwohl die Spieler des CS:GO-Teams in der Pause sind, bedeutet das nicht komplette Freizeit für den Manager. Denn zu seinen vielen Aufgaben gehört unter anderem auch die Betreuung der Profis des League-of-Legends-Teams. Zum Durchatmen bleibt aber nun mehr Zeit, passenderweise gehört dazu auch der LoL-Ableger Teamfight Tactics: "Zum Abschalten spiele ich gerne eine Runde TFT. Tatsächlich spiele ich Counter-Strike eher selten."

Foto: Merkur Masters

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