Geposted von kautzy,
Jetzt stehen wir also hier und blicken zurück auf den Scherbenhaufen, der sich 2020 schimpft. Was bleibt einem übrig außer dem verzweifelten Versuch, das Schlechte zu verdrängen und die positiven Seiten hervorzuheben? Genau das werden wir in unserem Jahresrückblick versuchen. Es ist verlockend, alles was 2020 schlecht gelaufen ist, auf die Pandemie zu schieben. Aber man muss auch anerkennen, dass es schon vorher nicht unbedingt als das beste Jahr für CS:GO begann: Direkt zum Jahresbeginn warf die ESL mir nichts, dir nichts die Hälfte der Teams aus der Pro League.

Wo soll man da jetzt das Positive finden? Vielleicht der Umstand, dass die ESL den Teams immerhin nur so kurz vorher Bescheid gesagt, dass sie sich vor dem Kampf ums Überleben nicht mit Existenzangst rumschlagen mussten? Da sieht das Glas doch direkt halbvoll aus.

Long live online CS

Kurze Zeit später trat mit Katowice dann Corona in unser CS:GO-Leben. Das erste Event ohne Publikum – kein Jubel, keine Gesänge. Dafür aber klar auf der Habenseite: Die Spieler können sich auf der Bühne diesmal besser konzentrieren und die polnische Jugend muss nicht draußen in der Schlange vor der Arena zittern. Hurra!

Nach Katowice ist es dann endgültig vorbei mit LAN. Anfangs streiten sich noch alle kurz darüber, ob Online-CS den gleichen Stellenwert haben kann, bevor ihnen klar wird, dass sie die nächsten Monate und Jahre wohl nichts anderes mehr zu Gesicht bekommen werden. Mit etwas Optimismus könnte man das positiv als „Einsicht“ hervorheben.

Turniere sehen jetzt eben völlig anders aus. Jeder Kontinent bekommt seinen eigenen Wettbewerb, so wie es der E-Sports-Gott in den späten 90ern ursprünglich mal vorgesehen hatte. In solch sorglose Zeiten lässt man sich momentan gerne zurückversetzen. Außerdem bekommen wir nun in einer interessanten Mischung aus MTV-Cribs und Bravo Homestory nie dagewesene, höchst intime Einblicke in die Behausungen unserer CS-Idole. Und falls die neuerdings ebenfalls zugeschalteten Fans sich anschicken, in ihre Webcams zu dabben, kann die Verbindung wenigstens noch rechtzeitig getrennt werden.

Zwischen trautem Heim und Lagerkoller

Ein Team, das all diese Vorteile des Home Office sofort erkennt, ist BIG. Im trauten Heim gewinnen die Berliner insgesamt vier internationale Titel, sind zwischenzeitlich die unangefochtene Nummer 1 der Welt und teilen auf herzerwärmende Weise Snacks miteinander. Man kommt zwar nicht umhin, sich ein wenig beraubt zu fühlen, weil man die Erfolge nicht stimmungsvoll in den Arenen dieser Welt feiern kann – aber im Gegensatz zu Viren ist Euphorie auch übers Internet ansteckend.

Weniger gut kommen ENCE und MIBR damit zurecht. Obwohl Finnen und Brasilianern ja stark unterschiedliches Temperament zugeschrieben wird, steuern sie beide gleichermaßen geradlinig auf den Lagerkoller zu und implodieren noch spektakulärer als unser aller Hoffnungen und Träume dieses Jahr. Der Lichtblick hier ist wohl, dass es frühzeitig rausgeschafft hat, sodass er nicht mehr Opfer der häuslichen Gewalt wurde, vor deren Anstieg überall gewarnt wurde.

Konkurrenz belebt das Geschäft – außer bei Valve

Auch für das Spiel und die Szene als Gesamtes sah 2020 alles andere als rosig aus. Anfang April startet die Beta für VALORANT. Der Titel von Riot Games ist der erste ernstzunehmende Konkurrent für Counter-Strike am Taktikshooter-Himmel der letzten 21 Jahre.

Riot nimmt das geniale Spielprinzip von Counter-Strike und setzt gezielt da an, wo Valve seit Jahren in der Kritik steht: 128 tick, funktionierendes Anti-Cheat und - man glaubt es kaum - Kommunikation mit der Community. Die Closed Beta schlägt ein wie eine Bombe und bricht sämtliche Zuschauerrekorde auf Twitch. Die Existenz von CS:GO scheint tatsächlich bedroht.

Die andere Seite der Medaille: Valve fühlt sich wohl endlich genug unter Druck gesetzt, um die Krieg zu nerfen. Wow. Zusammen mit einer Operation sollte das reichen, um das Überleben von CS:GO zu sichern, oder nicht?

Vom Regen in die Traufe

VALORANT sollte nicht das einzige Ereignis bleiben, das die CS:GO-Welt erschüttert. Im Herbst werden massenhaft Coaches des Cheatens überführt. Der Skandal hält die Szene monatelang in Atem und es sind so viele Coaches involviert, dass es fast einfacher ist, zu fragen, welcher Coach eigentlich nicht betrogen hat, statt die Schuldigen aufzulisten. Aber hey: Immerhin sind wir damit wohl dem Ziel, als echter Sport anerkannt zu werden, ein Stück nähergekommen. Denn mit der Tour de France können wir es jetzt auf jeden Fall aufnehmen.

Wirtschaftliche Rezession, Konkurrenz durch VALORANT, Betrugsskandale – irgendein Kopf muss dabei vermutlich rollen. In diesem Fall sind es aber leider die Köpfe des gesamten nordamerikanischen Kontinents. Zwar versucht Cloud9, mit Rekordausgaben den Etat der ganzen Region auszugleichen, aber am Ende sieht es nicht gut aus für die CS-Szene auf der anderen Seite des großen Teiches.

Aber statt hier nur Trübsal zu blasen, wollen wir lieber nach vorne schauen und Lösungen anbieten. Vielleicht kriegen wir die teamlosen Spieler ja in den 6-Mann-Rostern unter, die dieses Jahr Einzug gehalten haben. Jedes europäische Team bekommt quasi einen Ersatz-Ami, der sich dann auch endlich keine hämischen Memes über NA-CS gefallen lassen muss. Das wäre doch was, oder nicht?

Durchhalten ist angesagt

Es gab dieses Jahr viel Endzeitstimmung und auch wenn es teilweise nahezu unmöglich ist, etwas wirklich Positives darin zu sehen, so soll es zum Ende doch nochmal etwas echten Trost und Hoffnung geben: Vom Ruf eines für Amokläufe verantwortlichen Ballerspiels bis zur Finanzkrise hat Counter-Strike in den letzten 21 Jahren alles überlebt. Und all den Todesurteilen zum Trotz wird unser Lieblingsspiel so viel gespielt wie nie zuvor und hat den Rekord für Concurrent Players auf Steam mehrmals gebrochen.

Am Ende kann man sich nur wünschen, dass alle durch dieses schwierige Jahr näher zusammenrücken – und wenn das im echten Leben wegen den Abstandsregeln nicht mehr geht, dann halt auf dem Server.

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